Artist statement
Gefundenes bildet die Grundlage für die Arbeiten der Serie „Fundstücke“. Verlorene Objekte am Straßenrand, tote Tiere am Gehsteig oder im Wald, verwelkte Blumen oder verrottetes Gemüse: Objekte, die normalerweise unbeachtet bleiben, werden hier zum Kunstwerk geadelt. Mich interessiert der Blick auf das Schöne hinter der „hässlichen“ Oberfläche, das Anziehende unter einer abstoßenden Hülle. Ich arbeite fein und genau mit Buntstiften, schneide die Motive aus und klebe sie dann leicht erhaben auf weißen Untergrund in Objektrahmen. Ich verzichte dabei auf Hintergründe und stelle somit die Objekte oder Tiere in den Mittelpunkt. Die Präsentation im Objektrahmen bildet den neutralen Hintergrund und schafft Assoziationen mit Schaukästen oder wissenschaftlichen Abbildungen. Die Bilder sind dokumentarisch und erzählerisch zugleich. Themen wie Vergänglichkeit, Ökologie und die Ästhetik des Alltags schwingen mit, jede und jeder Betrachtende kann sich eine eigene Geschichte und Interpretation zu den Bildern schaffen.
„Winkelbauer lässt uns die Schönheit im Unscheinbaren und Alltäglichen erkennen – auch am Weggeworfenen und Morbiden, in einem achtlos zerknüllten Blatt Papier ebenso wie in einem halb verrotteten Apfel oder in irgendwelchem Gemüse.“, wie es Kurator Günther Oberhollenzer in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung „Still lives”, in der Stadtgalerie Vöcklabruck im Februar 2016 formulierte. Und weiter: „Zeichnung als Verdichtung, als Konzentration unserer Welt und Lebensrealität.“
Artist statement
Found objects form the basis for the works in the „finds“ series. Lost objects on the side of the road, dead animals on the sidewalk or in the forest, withered flowers or rotting vegetables: objects that are usually ignored are ennobled here as works of art. I’m interested in looking at the beautiful behind the „ugly“ surface, the attractive under a repulsive shell. I work finely and precisely with colored pencils, cut out the motifs and then stick them slightly raised on a white background in object frames. I do without backgrounds and thus place the objects or animals in the center. The presentation in the object frame forms the neutral background and creates associations with showcases or scientific illustrations. The images are documentary and narrative at the same time. Themes such as transience, ecology and the aesthetics of everyday life resonate, each and every viewer can create their own story and interpretation of the pictures.
“Winkelbauer allows us to recognize the beauty in the inconspicuous and the everyday – also in the discarded and morbid, in a carelessly crumpled sheet of paper as well as in a half-rotted apple or in any vegetable,“ as curator Günther Oberhollenzer put it in his opening speech to the exhibition „Still lives“, in the Stadtgalerie Vöcklabruck in February 2016. And further: „Drawing as compression, as concentration of our world and reality of life.“
Nina Schedlmayer: „Hannah Winkelbauers Fundstücke: ein Museum des Treibguts“, 2018
Die künstlerische Verwendung von Abfall besitzt mittlerweile eine gewisse Tradition: Kurt Schwitters collagierte Fahrkarten und Zigarettenschachteln, César presste Schrottautos, Phyllida Barlow arrangierte Sperrmüll zu monumentalen Installationen und Mark Dion prangerte in seinem „Tar Museum“ Umweltverschmutzung an.1
Hannah Winkelbauer gewinnt der Thematik mit ihren „Fundstücken“ neue Facetten ab. Die Vorbilder ihrer Sujets entdeckt sie auf Spaziergängen; ihre Inspiration liegt gewissermaßen auf der Straße. Entscheidet sie sich für einen Gegenstand, zeichnet sie ihn akribisch ab. Diese Bilder schneidet sie aus und montiert sie auf nicht grundierten, rohen Leinwänden, manchmal mit einem Abstandhalter, sodass die Papierausschnitte einen Schatten werfen. Sie bildet tote Vögel, Luftballons, Steine, Feder, Tücher und vieles mehr ab; manchmal mogeln sich Gegenstände darunter, die sie nicht auf der Straße fand, etwa abgeschnittene Zöpfe.
Hannah Winkelbauer sucht die Schönheit im Unbeachteten. Und wirklich: Besitzen manche der Vögel nicht wunderbares Gefieder? Möchte man das Fell dieser toten Maus nicht streicheln, so flauschig, wie es hier erscheint? Schillern die Herbstblätter nicht in den prächtigsten Farben? Und wirkt die glänzende Oberfläche der Luftballons nicht verführerisch? Die Isolation des Motivs auf der Leinwand enthebt dieses seinem alltäglichen Kontext.
Darüber hinaus erinnert die Art der Darstellung an naturwissenschaftliche Systematiken. In manchen Arbeiten verwendet die Künstlerin sogar Objektrahmen, die diesen Eindruck unterstützen: In naturhistorischen Museen werden aufgespießte Schmetterlinge oder Insekten oft in ebensolchen Kästen präsentiert. Die Motive, die auf die Leinwände montiert sind, lassen sich zu Objektgruppen sortieren und hängen. Dadurch, dass sie als Teile einer Ordnung erscheinen, so, als wären sie wertvolle Museumsgegenstände, werden sie einmal mehr nobilitiert. So baut Hannah Winkelbauer mit ihren „Fundstücken“ ein Museum des Treibguts.
Nina Schedlmayer, freie Kunstkritikerin
1 Mehr dazu siehe: Lea Vergine, When Trash Becomes Art, Mailand 2007.